CANNABIS ACT – KANADAS WEG DER LEGALISIERUNG

Der Weg zur Legalisierung und das Jahr danach

Am 17. Oktober 2018 schlug Kanada mit der vollstän­digen Legalisierung von Cannabis ein neues Kapitel auf. Mit Inkrafttreten des Gesetzes C-45, besser bekannt als ­Cannabis Act, wurde Kanada als erst zweites Land hinter Uruguay die erste west­liche Industrienation, die sich zu ­diesem Schritt entschließen konnte. Was aber hat die ­Kanadier dazu bewegt, was ist nun genau erlaubt, und wie sieht das Fazit nach ei­nigen Monaten der neuen Freiheit aus? Schon vorweg: It‘s complicated.

Ursprünglich hätte das Gesetz bereits mit dem 1. Juli in Kraft treten sollen, aber da man das Zusammenfallen mit den Feierlichkeiten zum Canada Day vermeiden und Einwände einiger der zehn Provinzen und von Vertretern der First Nations – der kanadischen Ureinwohner – klären wollte, verzögerte sich der Prozess. Premierminister Justin ­Trudeau konnte mit dem Gesetz erfolgreich eines ­seiner zentralen Versprechen aus dem Wahlkampf 2015 einlösen, in dem er sich gegen seinen Vorgänger Stephen Harper durchgesetzt hat. Damals hatte er die Legalisierung angekündigt, auch mit dem Plan, die Einnahmen des 2017 auf 5,7 Milliarden Dollar (etwa 3,8 Millionen Euro) geschätzten Schwarzmarktes einzudämmen.

Bereitschaft zur Veränderung

Auch wenn sein Zugang zu dem Thema – immerhin vergingen zwischen seiner Wahl und dem Inkrafttreten des Cannabis Act fast exakt drei Jahre – oft als „start low and go slow“, also als nicht besonders schnell, bezeichnet wird, scheint Trudeau die Bereitschaft der kanadischen Gesellschaft für Veränderung erkannt zu haben. Immerhin wurde Cannabis für den medizinischen ­Gebrauch ebenfalls unter einer Regierung der Liberal Party bereits im Jahr 2001 legalisiert. Eine im Jahr 2016 im Auftrag des größten kanadischen Fernsehsenders CTV durchgeführte Umfrage ergab damals dann schon eine Zustimmung von sieben von zehn Kanadiern für eine Legalisierung.

Der Cannabis Act ist also die „Krönung“ ­eines 25 Jahre dauernden Prozesses, der auch entscheidend vom Beispiel der Legalisierung bzw. Dekriminalisierung und den daraus gezogenen Lehren einiger teilweise an Kanada grenzender US-Bundesstaaten wie Washington oder Colorado, aber auch dem Beispiel Uruguays beeinflusst wurde. Auch wenn die Legalisierung damit im Falle Kanadas fast schon als logischer nächster Schritt erschien, sollte man nicht ver­gessen, wie weit man in Kanada mit diesem Zugang anderen Ländern – besonders auch in Europa – voraus ist.

Aktuelle Lage

Wie sieht nun aber der Status quo im ersten Sommer nach der Legalisierung aus? Die Erwartungshaltung war auf jeden Fall groß, als fünf Sekunden nach Mitternacht am 17. Oktober in Neufundland das erste legale Gramm Cannabis über den Tresen einer Dispensary in St. John‘s ging. Für viele, besonders in den Großstädten wie Toronto oder Ottawa, änderte sich mit der neuen Gesetzeslage allerdings wenig. In der bevölkerungsreichsten Provinz Ontario ­dauerte es beispielsweise bis ins Frühjahr 2019, bis die ersten von der Regierung zertifizierten Dispensaries eröffnen konnten (in ­Toronto gibt es mit Stand Juli 2019 fünf Locations). Bis dahin gab es nur eine Online­Plattform, die mit Lieferschwierigkeiten und einer beschränkten Auswahl zu kämpfen hatte. Weiterhin bevorzugen viele nach wie vor den gewohnten Weg, ihr Cannabis über Kontakte zu beziehen. Das liegt einerseits am noch immer etwas beschränkten Angebot und andererseits an der Tatsache, dass die Preise am Schwarzmarkt nach der Legalisierung sogar auf etwa sechs Dollar (etwa vier Euro) pro Gramm gefallen sind. Laut einer Studie von StatCan, der kanadischen Statistikbehörde, betrug der durchschnittliche Unterschied zwischen dem Preis in den Dispensaries und dem Preis auf der Straße etwa 4,72 Dollar (etwa 3,20 Euro) pro Gramm, auf der Straße zahlte man so fast 50 % des legalen Verkaufspreises von durchschnittlich 10,65 Dollar (etwa 7,21 Euro).

Eine Wahrnehmung die uns auch Bianca C., Rechtsanwältin aus Toronto, bestätigt: „Besonders in Toronto beziehen die meisten ihr Cannabis nach wie vor wie früher, einfach deshalb, weil es billiger ist und dir der Typ bis an die Haustür liefert. Die legalen Dispensaries müssen im Vergleich dazu Sales Tax, Lizenzgebühren und die Gehälter ihrer Mitarbeiter einberechnen.“ Trotzdem bleibt sie optimistisch, denn „nach der ersten Euphorie verstehen langsam alle, dass das Ganze ein langwieriger Prozess ist, Veränderung passiert einfach nicht von heute auf morgen. Die Mehrheit der Kanadier ist und bleibt überzeugt, dass die Legalisierung die richtige Entscheidung war, und wir sind stolz, dass wir international bei den Ersten dabei sind.“

Den langsam positiven Trend bestätigt auch StatCan, laut der in den ersten drei Monaten 2019 bereits geschätzte 47 % der Konsumenten – das sind in etwa 2,5 Millionen Kanadier – ihr Cannabis legal erworben haben, gegenüber 23 % im ­Vergleichszeitraum des Jahres davor. Das bedeutete für die ersten fünfeinhalb ­Monate 2019 Steuereinnahmen von 186 Millionen Dollar für den kanadischen Staat und die Provinzen.

Laut Michael Armstrong, Wirtschaftsprofessor an der Brock University in Ontario, erklärt sich diese niedrig erscheinende Summe aus der Strategie der Regierung, das Steuerniveau bewusst moderat zu halten, um gegen den Schwarzmarkt vorgehen zu können und aufgrund der Erfahrungen beispielsweise Kaliforniens, wo die Steuereinnahmen massiv überschätzt wurden und auch nach Jahren noch ein schwer zu bekämpfender semi- oder illegaler Markt besteht. Sollte aus den Anlaufschwierigkeiten der ersten Monate gelernt werden und mit der Freigabe ­neuer Produkte Ende des Jahres (der sogenannten Legalisierung 2.0), dürften diese Einnahmen langfristig stark steigen – eine willkommene Unterstützung in Zeiten angespannter Budgets.

Rationale Betrachtung

Was lässt sich aus der Erfahrung Kanadas etwa ein Jahr nach der Legalisierung lernen? Entscheidend scheint zu sein, Stakeholder auf allen Ebenen in den Prozess einzubinden. Wie die unterschiedlichen Erfolge aus den verschiedenen Provinzen und Städten zeigen, kann das mitunter zu Verzögerungen und unklaren Situationen in Bezug auf die Umsetzung der neuen Freiheiten führen. Wie die kürzlich von der kanadischen Regierung angekündigten Gesetze zur rückwirkenden Löschung von früheren Verurteilungen wegen geringfügiger Vergehen im Zusammenhang mit Cannabis zeigen, scheint auch hier ein Umdenken dahingehend einzusetzen, das Thema globaler zu betrachten und es nicht bei der Verabschiedung eines bundesstaatlichen Gesetzes zu belassen. Welche Schwierigkeiten komplett unterschiedliche Rechtslagen auf verschiedenen Ebenen schaffen können, sieht man besonders in den USA, wo trotz der Freigabe in einigen Staaten Cannabis auf Bundesebene nach wie vor illegal ist – allgemein ein Problem, das in stark föderalistischen Staaten wie Kanada oder den USA immer wieder auftritt.

In den meist etwas zentraler organisierten Staaten Europas wäre dies in manchen Bereichen vielleicht etwas einfacher, es bleibt aber abzuwarten, wann sich das Umdenken in der Bevölkerung in konkreten politischen Veränderungen niederschlägt. Aus dem Beispiel Kanadas, wo eine rationale Betrachtung des Themas Cannabis und die daraus resultierenden neuen Regeln nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Arbeitsplätze und Steuereinnahmen schaffen, während gleichzeitig Ressourcen für die Bekämpfung harter Drogen und organisierter Kriminalität frei werden, lässt sich mit Sicherheit einiges lernen.

Abschließend sollten wir einen weiteren, oft vergessenen, aber nicht zu unterschätzenden Aspekt der Legalisierung beleuchten: den Einfluss auf die wissenschaftliche Forschung. Schon bisher waren kanadische Universitäten in vielen Bereichen führend in der Forschung zum Thema Cannabis. Durch die neue Gesetzeslage ist es nun nicht nur noch einfacher, diese Forschungen voranzutreiben. Sie ermöglicht auch andere Studiendesigns und vor allem einen wesentlich leichteren Zugang zu Finanzierung, bei dem die aufstrebenden, teilweise schon börsennotierten Cannabis-Unternehmen möglicherweise auch eine interessante Rolle spielen könnten. Besonders in diesem Bereich wird der Einfluss des Cannabis Act also weit über Kanada hinaus reichen.

Can(n)ada-Facts für Kanada-Reisende

Wer darf wie viel besitzen?

Die Grenze sind 30 Gramm für Erwachsene über 19 (mit Ausnahme von Quebec und Alberta). Zusätzlich ist der Anbau von bis zu vier Pflanzen für den eigenen Bedarf überall außer in Quebec und Manitoba möglich.

Was ist erlaubt?

Momentan nur getrocknete Blüten
und unkonzentrierte Öle. Edibles (essbare Cannabisprodukte) sind im ersten Jahr nicht von der Legalisierung erfasst, ihre Freigabe ist aber für Ende 2019 geplant.

Wo darf konsumiert werden?

Im Allgemeinen dort, wo auch das Rauchen von Tabak erlaubt ist. Einige Provinzen, wie British Columbia, verbieten allerdings den Konsum im Auto.

Wo ist Cannabis erhältlich?

Unterschiedlich von Provinz zu Provinz, mittlerweile aber fast überall in Dispensaries oder landesweit online.

Es empfiehlt sich auf jeden Fall, sich vor einer Reise nach Kanada mit den Regelungen der jeweiligen Provinz(en) vertraut zu machen!

Autor Philipp Hlatky, MA

  • Background in internationalen Beziehungen und Wirtschaft.
  • Beschäftigt sich seit einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA mit dem Thema Hanf und seinen politischen und wirtschaftlichen Aspekten.
  • Ist Co-Autor des Buches „Cannabidiol – Ein natürliches Heilmittel des Hanfs“.

REDAKTION: Philipp Hlatky
FOTOS: Adobe Stock, Privat